Positionspapier zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften
Im Koalitionsvertrag vom 24.11.2021 hat die Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP Pläne für ihre zukünftige Drogenpolitik niedergelegt. Laut Koalitionsvertrag ist die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften geplant. Das Gesetz soll nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung sollen ermöglicht und ausgebaut werden. Bei der Alkohol- und Nikotinprävention soll auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen gesetzt werden. Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis sollen verschärft werden. Regelungen sollen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gemessen werden, Maßnahmen zum Gesundheitsschutz sollen sich daran ausrichten.
Wir, die zeichnenden Fachgesellschaften, vertreten das gesamte Spektrum der Suchtprävention, der Sucht‐Selbsthilfe, der Suchtberatung, der Suchtforschung und Suchttherapie sowie weiterer Versorgungsbereiche der Suchthilfe, die mit cannabisbezogenen Störungen und Konsumfolgen konfrontiert sind. Entsprechend fordern wir den Gesetzgeber auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, welche die gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden mindern, die bei einer Ausweitung des Cannabiskonsums erwartbar wären. Falls sich nun, wie angekündigt, eine politische Mehrheit in der Abwägung von vorbeugendem Gesundheitsschutz und vermeintlichem gesellschaftlichen Mehrnutzen auf die im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen verständigen sollte, richten wir fünf zentrale Forderungen an die politischen Entscheidungsträger:
1) Priorisierung und Ausbau des Jugendschutzes, Prävention des problematischen Konsums durch strukturelle Maßnahmen:
a) Begrenzte Öffnungszeiten und Anzahl der Verkaufsstellen. Verkaufsstellen müssen einen Mindestabstand zu Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen einhalten. Lizenzierten Verkaufsstellen ist der Verkauf anderer Produkte (v.a. Alkohol und Tabak, Glückspielangebote) untersagt. Der Konsum in Verkaufsstellen wird nicht gestattet.
b) Legale Abgabe von Cannabis oberhalb des 18. Lebensjahrs (Vorschlag: ab dem 21. Lebensjahr) mit Kontrolle des Alters bei der Abgabe. Begründung: Abschluss der Ausreifung des Gehirns, Minderung von Risiken für Cannabisfolgestörungen
c) Mengenbegrenzung beim Verkauf, Verbot des Verkaufs von gefährlichen Zubereitungen mit hohem THC‐Gehalt (Vorschlag: max. 15%) und niedrigem CBD‐Gehalt und von THC‐haltigen Produkten mit schlecht abschätzbarer Resorption (z.B. THC‐haltige Lebensmittel) und von Zubereitungen (z.B. Rauchmischungen mit Aromen) und synthetischen THC‐Produkten und verwandten synthetischen Stoffen.
d) Verbot von direkter und indirekter Werbung und jeglicher Maßnahmen der Verkaufsförderung.
e) Werbefreie Verpackung mit Hinweisen zu den Risiken und Angabe des THC‐ und CBD‐Gehalts mit Telefonnummer eines Beratungsangebotes und Warnhinweisen.
f) Anbau und Betrieb durch staatliche Stellen, um Cannabisabgabe von Cannabis‐
Verkaufserlösinteressen zu trennen.
2) Mit der Einführung legaler Verkaufswege muss illegaler Handel konsequent unterbunden werden.
Es ist damit zu rechnen, dass der illegale Markt entgehende Umsätze durch einen höheren Verkaufsdruck über günstigere Preise und den Verkauf an Minderjährige begegnen wird. Verstöße gegen den Jugendschutz in lizenzierten Verkaufsstellen müssen mit einem Entzug der Verkaufslizenz sanktioniert werden.
3) Der Steuersatz muss eine Komponente des Wirkstoffgehaltes beinhalten, es darf nicht ausschließlich nach Gewicht (Gramm) besteuert werden. Parallel zu den steigenden Steuereinnahmen durch den Verkauf von Cannabis zu Rauschzwecken und in vergleichbarerer Größenordnung müssen dem Gesundheitsbereich zusätzliche Mittel zukommen zur verbesserten Prävention, Früherkennung, Frühintervention, Beratung, Begleitung und Behandlung sowie der Versorgungs‐ und Therapieforschung im Bereich cannabisbezogener Störungen. Hiermit würde der Gesetzgeber zeigen, dass nicht der Steueraufwuchs im Zentrum der gesetzlichen Veränderungen
steht, sondern der gesamtgesellschaftliche Nutzen.
4) Umfassende Begleitforschung und Ausbau des Drogen‐ und Gesundheitsmonitorings in Deutschland, um gesundheitliche, soziale und rechtliche Entwicklungen präziser abzuschätzen (Marktbeobachtung, Veränderung des illegalen Angebots und des Konsumverhaltens, Kontrollen des Gehalts von THC und CBD, Veränderung der Behandlungszahlen im Suchthilfesystem, Veränderung bei Konsumierenden im Straßenverkehr, etc).
5) Etablierung einer interdisziplinären Gruppe von Expertinnen und Experten, die die Regierung bei der Umsetzung der neuen Regulierungen zur kontrollierten Cannabisabgabe berät.
Unterzeichnende Fachgesellschaften:
· Prof. Dr. Falk Kiefer
Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG‐Sucht)
· Prof. Dr. Ulrich W. Preuss
Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS)
· Dr. Gallus Bischof
Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps)
· Dr. Peter Raiser
Prof. Dr. Norbert Scherbaum
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS)