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Unter dem Motto „Forschung, Prävention und Hilfen gemeinsam gestalten“ kamen vom 23.-25.09. etwa 400 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Selbsthilfeorganisationen an der Technischen Hochschule Köln zum Deutschen Suchtkongress zusammen. Die große thematische Bandbreite in den 160 Vorträgen, fünf Keynote-Lectures und 21 Posterbeiträge findet man im Abstractband dieser Zeitschrift (https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/ issue/10.1055/s-014-60310) sowie unter www.suchtkongress.org. So erhielt Patricia Schaar von der Medizinischen Hochschule Hannover für ihren innovativen Beitrag in grundlagenwissenschaftlicher Forschung „Pilotierung der modifizierten Flicker Change Blindness Task für Online-Shoppingstörung und Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung“ den Posterpreis der Nachwuchsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und -therapie (DG-Sucht). Das Augenmerk des Kongresses lag darüber hinaus auch stark auf den NutzerInnenperspektiven. Diese illustrierte beispielsweise Daniel Deimel von der Technischen Hochschule Nürnberg. Seine Forschung gibt Einblick in die realen Lebensräume von Crack-Konsumierenden.
Die Organisator_innen hatten für die Veranstaltung weitere gesellschaftlich relevante Schwerpunkte gesetzt: unter den sechs parallel stattfindenden Symposien war immer eines zu Verhaltenssüchten vorgesehen. Am zweiten Kongresstag fokussierte sich ein Vortragsstrang komplett auf das Thema „Jugendliche und Sucht“. und die in diesem Jahr durch die Boesken-Stiftung NRW ermöglichte hybride Betroffenenbeteiligung war ebenfalls ein den Kongress in weiten Teilen durchziehendes Thema. Neben der Entwicklung von Leitlinien zu Internetbezogenen Störungen, Cannabisbezogenen Störungen und Sucht und Psychose, war das Thema Stigmatisierung ein weiterer Schwerpunkt der an allen Kongresstagen durch prominente Speakerinnen und Speaker vertreten wurde.
In den Keynotes wurden neueste Erkenntnisse, Möglichkeiten und Hindernisse sowie Handlungsbedarfe für Forschung, Prävention und Hilfen aufgezeigt. Bereits in der Ersten Keynote von Daniel Kotz vom Universitätsklinikum Düsseldorf wurde deutlich, wie die Entwicklungen der Nikotinprodukte in den letzten Jahren bedenklich stimmen, insbesondere mit Blick auf die von Jugendlichen zunehmend genutzten und wenig regulierten Einweg-Vapes. Auch der Zusammenhang von Nikotin als Einstiegsdroge in einen Cannabiskonsum, welcher durch den gemeinsamen Konsum mit Tabak als Joint auch die jeweiligen Gesundheitsgefahren potenziert wurde hier sehr deutlich.
In der zweiten Keynote von Anna Levke Brütt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurde auf die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit sowie auf den Mangel der bisherigen Umsetzung von Betroffenenbeteiligung in der Suchtforschung hingewiesen. In anderen Wissenschaftsgebieten scheint es – so Brütt – wird die Betroffenenbeteiligung in der Forschung schon gewinnbringend genutzt, um besser Forschung für die Praxis und Praxisforschung jeweils im Sinne der Zielgruppen zu gestalten und auch von deren Engagement zu profitieren. Sie gab damit auch den inhaltlichen Auftakt zur hybriden Betroffenenbeteiligung am Kongress selbst.
Die dritte Keynote von Georg Schomerus vom Universitätsklinikum Leipzig widmete sich dem Thema Stigma. Neben der Vermittlung der definitorischen Grundlagen, was Stigma und Stigmatisierung ist, legte er für jeden verständlich die schädlichen Konsequenzen der Stigmatisierung von Betroffenen durch die Gesellschaft und strukturelle Hürden wie sie beispielsweise in der Psychotherapie vorliegen dar. Auch verwies er darauf, wie die drogenpolitische Inaktivität und suchtmittelindustriellen Winkelzüge zur Diskriminierung und Benachteiligung von besonders stark von Sucht betroffenen beitragen.
Folgerichtig stellte Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank von der LVR-Klinik Köln in der vierten Keynote zu Psychose und Sucht die komplexen Zusammenhänge von Drogenkonsum und schwerer psychischer Erkrankung dar. Sie betonte, dass die Behandelbarkeit von Menschen mit sogenannten Doppeldiagnosen zwar gegeben und erfolgversprechend sei. Sie verlaufe aber deutlich kleinschrittiger und ressourcenintensiver als bei einzelnen Diagnosen. Erste Einblicke in die im Entstehungsprozess befindliche Leitlinie zur Behandlung von psychotischen Störungen und Suchterkrankungen deuteten große Wissens- und Versorgungslücken an.
Wolfgang Beigelböck vom Anton-Proksch Institut in Wien verwies in seinem Keynote-Vortrag auf die falsch verstandenen Heilsversprechen, die heutzutage mit dem Thema Achtsamkeit in kommerziellen Angeboten weitläufig vermittelt werden. Seine Klarstellung der ursprünglichen Konzeptualisierung und der Verwendung von spezifischen achtsamkeitsbasierten Programmen als hilfreiche Adjuvanz zu anderen Therapieoptionen im Suchtbereich deutete erfrischend und fundiert auf die Nebenwirkungsprobleme kommerzialisierter Psychotherapie hin.
In der Podiumsdiskussion zur Versorgung Jugendlicher mit Suchtproblemen waren sich alle Beteiligten einig, dass hier ein Ausbau der Angebote und insbesondere der Vernetzung zwischen Jugendhilfe und Suchthilfe sowie anderen Akteuren wie Ordnungs- und Schulbehörden dringend erforderlich ist. Gallus Bischof, Initiator der Diskussionsrunde betonte: „Wichtig wird auch sein, die Perspektive der Angehörigen hier stärker mitzudenken.“
Bei der hybriden Podiumsdiskussion zur Betroffenenbeteiligung wurde mehr als deutlich, dass es einerseits sehr begrüßt wird, die Betroffenenbeteiligung in den Kongress zu integrieren andererseits aber auch noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht. Bezüglich der Wichtigkeit, Betroffenenbeteiligung insgesamt in Forschung, Prävention und Hilfen für Suchterkrankungen zu unterstützen, waren sich alle einig. Die Rückmeldungen aus den 15 online teilnehmenden Selbsthilfegruppen spiegelten eine hohe Bereitschaft zur Mitwirkung von Betroffenenseite wider.
Ein besonderer Dank geht an das Bundesministerium für Gesundheit, den langjährigen Hauptsponsor des Deutschen Suchtkongresses. Außerdem an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalens sowie die vielen Aussteller und Unterstützer, ohne welche die Durchführung des diesjährigen Kongresses an der TH Köln nicht möglich gewesen wäre. „Brandschutz und Inflation sind reale Barrieren für eine erfolgreiche Kongressdurchführung. Wenn man dann potenziellen Suchtmittelprofiteuren keine Werbefläche bieten möchte, wird es schnell eng mit der Finanzierung im Gesundheitswesen.“ so Frischknecht, diesjähriger Kongresspräsident „Immerhin, eine Teilnehmerin meinte zu mir, sonst habe sie immer Rückenprobleme bei Kongressen, dieses Jahr eher Muskelkater, da die Räume so weit auseinanderliegen“. Der Gesundheitsschutz scheint also auch noch mitgewirkt zu haben.
Der nächste Deutschen Suchtkongress wird vom 22. bis 24.09.2025 an der TU in Berlin unter Leitung von Ekaterina Georgiadou und Thomas Hillemacher vom Paracelsus Privatklinikum Nürnberg stattfinden.
Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie e.V.
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